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Montag, 02. Dezember 2024

Amprion Projekt Nr. 89: Krisenkommunikation auf der Bühne

Hope for the best - prepare for the worst“. Über hochkochende Emotionen, Sicherheit, Augenhöhe und Vertrauen

Rund 400 Menschen waren am 20.11. in die Festhalle Everswinkel gekommen, um sich über die 380 kV Höchstspannungsleitung informieren zu lassen, die der Versorger Amprion zwischen dem Teuto und dem Ruhrgebiet plant. Das große Infrastrukturprojekt stößt auf Widerstand. Entlang der Trasse haben sich zahlreiche Bürgerinitiativen (BI) gebildet. 

In dieser Größenordnung hatte ich bislang noch keine Krisenveranstaltung, und ich gestehe: Ich bin mit gehörigem Respekt an die Planung und Moderation der Veranstaltung gegangen. Gut zweieinhalb Stunden später Erleichterung. Es war streckenweise turbulent und laut, aber es hat geklappt: Die meisten ziehen einigermaßen zufrieden ab. Von Seiten der zahlreichen Teilnehmer:innen der BI kommt Dank, aber auch von den Akteuren auf der Bühne, die sich teils harsche Zwischenrufe und Häme gefallen lassen mussten.

Was genau haben wir gemacht? Und warum hat es funktioniert?

  • Es hätten gut 800 Menschen in der Festhalle Platz gefunden. Damit war klar: Wir müssen gut auf die Sicherheit achten. Elektronische Anmeldung per App (ansonsten vor Ort), genügend Helfer im Saal, die freiwillige Feuerwehr unterstützt im Außenbereich, die Polizei ist informiert. Sicherheitsdienst? Die Entscheidung der Bürgermeister:innen lautet nein, notfalls muss ich darauf vertrauen, dass die Menge der Teilnehmer mögliche Störkräfte ausbalanciert und ihr Recht auf Information einfordert. Der Rahmen soll freundlich bleiben.
  • Bei der erwartbar emotionalen Grundstimmung sollte keine zusätzliche Irritation entstehen durch schlechte Orientierung oder Schlangen am Einlass, oder dadurch dass Menschen die Inhalte wegen schlechter Sicht oder Akustik nicht gut verfolgen können. Also war der Einlass minutiös geplant und mit ausreichend Helfer:innen bestückt, es gab zusätzliche Bildschirme im hinteren Teil des Raumes, und der externe Technikdienstleister (wie immer zuverlässig & gut: AE Rental) steuerte souverän die Technik mit eigenem Personal. Einziger Fail: der hauseigene Beamer, zu schwach, um die Präsentationen gut sehen zu können. In letzter Minute gefixt: das hauseigene WLAN, denn Partizipation war nur digital möglich.
  • Menschen werden wütend, wenn sie sich verschaukelt fühlen. Und in einer David-gegen-Goliath-Situation wie hier (Amprion und die BI) waren die Sympathien klar verteilt. Umgangsregeln wurden direkt in der Anmoderation aufgestellt: respektvolle Kommunikation bitte. Zudem war mein Anliegen, den Sprecher der BI prominent direkt nach dem Aufschlag durch den Amprion-Projektsprecher zu hören. Wenigstens einigermaßen Augenhöhe, auf jeden Fall jedoch Wertschätzung signalisieren. Klar war der Saal nach dem Beitrag der BI in Aufruhr und die Wellen schlugen hoch. Doch es war wichtig, Druck abzulassen.
  • Den Erwartungshorizont direkt zu Anfang abzustecken, war ebenfalls wichtig. Was kann eine solche Veranstaltung leisten, was nicht? Wir hatten uns als Ziel gesetzt, möglichst viele Informationen in den Raum zu holen. Die Veranstaltung sollte alle Puzzleteile zusammensetzen, die Menschen brauchen, um sich eine abgewogene Meinung bilden zu können. Also kamen nach der BI drei Inputs der Bundesnetzagentur zur Planung der Stromnetze, des Bundesamtes für Strahlenschutz zur Wirkung elektro-magnetischer Felder, und der Bezirksregierung Münster zum Verfahren bei Planung und Genehmigung des Vorhabens. Und sie alle haben einen guten Job gemacht, obwohl sie sich mitunter lautem Pfeifen und Buh-Rufen ausgesetzt sahen.
  • Wie schafft man in der kurzen Zeit genügend Raum für alle Anliegen? Quasi unmöglich. Wir versuchten es mit der App Slido, die übers Handy Beteiligung organisiert. Slido ist intuitiv und leistungsstark bei großen Gruppen, und die Teilnehmer können Fragen mit dem „Daumen hoch“ mehr Kraft verleihen. Mit zwei kurzen Fragen zu Beginn der Veranstaltung im Saal ausprobiert, bei der Panelrunde nach den fachlichen Inputs schwer im Einsatz: 178 Fragen stellten die Teilnehmer:innen. Drei kommunale Mitarbeiter:innen halfen im Hintergrund, die Fragen zu sichten und freizugeben (geht nur moderiert!). Eine weitere Hilfe hatte ich auf der Bühne, damit ich nicht möglicherweise Zusammengehöriges übersehen würde. Ich selbst hatte für die Moderation des Panels mein Handy dabei, auf dem ich die Fragen nach Gewichtung vor Augen hatte. 
  • Glaubwürdigkeit zählt. Neben dem Umgang mit allen Beteiligten ist das vielleicht das Wichtigste. Über Rollenklarheit und faire Verteilung der Redebeiträge haben wir das versucht. Amprion muss als Akteur mit wirtschaftlichen Interessen gar nicht erst auf Beifall hoffen. Dennoch: Den Respekt für die Person, die sich auf die Bühne traut, kann man einfordern. Die Skepsis schlägt aber auch den Behördenvertreter:innen entgegen: Warum vertraut die Bundesnetzagentur den Planungen der Stromgiganten, und prüft sie genug? Ist das Bundesamt für Strahlenschutz tendenziös? Und warum sind die Verfahren der Bezirksregierung so schleppend? Hier den Ton zu treffen ist wichtig, um das Vertrauen in den politischen Prozess dahinter zu sichern. Die Bürgermeister:innen auf der Bühne und ausreichend Berücksichtigung des BI-Vertreters, der den Menschen im Saal eine Stimme gab, waren ein wichtiges Gegengewicht zu den Kräften, die sich der Kontrolle der Bürger:innen entziehen.
  • Und was geschieht danach? Die „Nachsorge“ ist ebenfalls unverzichtbar für das Gelingen. Und so finden sich jetzt die Fachbeiträge und eine Linkliste auf der Website, und dorthin kommen auch die Antworten auf alle Bürger:innenfragen, die unbeantwortet blieben und für die die Kommunen nun Antworten von den einzelnen Akteuren einsammeln. 

Die Amprion-Veranstaltung war in diesem Jahr mein größtes Projekt - und vermutlich auch mein spannendstes. Ich liebe es, Krisenkommunikation zu gestalten, und ich bin dankbar für das Vertrauen meiner Auftraggeber: Bürgermeisterin Katrin Reuscher aus Sendenhorst und die Bürgermeister Karl Piochowiak (Ostbevern), Sebastian Seidel (Everswinkel), Wolfgang Pieper (Telgte) und Carsten Grawunder (Drensteinfurt), die mir bei der Planung und Moderation weitestgehend freie Hand gelassen haben.

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