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Donnerstag, 18. Juni 2020

Community Building. Online.

Im virtuellen Raum lässt sich große Nähe schaffen. Learnings aus dem Wednesday Web Jam.

Ich erlebe zwischenzeitlich einige sehr digitalisierungsmüde Menschen: viel gelernt, einige digitale Barrieren genommen, aber es ist halt nicht das Echte, so wie beim Kontakt von Mensch zu Mensch. Das ist oft ihre Essenz. Auch ich vermisse die direkten Begegnungen, die ich sonst bei meiner Arbeit hatte. Aber was definitiv nicht stimmt, ist, dass sich online keine Nähe herstellen ließe.

Ich habe mit einer zeitweise fast einhundert Teilnehmer umfassenden Community aus mehrheitlich fremden Menschen aus der ganzen Welt im Netz experimentiert. Jeden Mittwoch haben wir uns von 17 bis 18 Uhr zum Wednesday Web Jam (WWJ) online getroffen, in der Regel haben wir uns anschließend noch eine weitere halbe Stunde inoffiziell ausgetauscht. Für die Teilnehmer des WWJ gibt es nun eine LinkedIn-Gruppe, und eine Teilgruppe arbeitet daran, Ziele und Absicht der Jammer für die Zukunft weiterzuentwickeln. Wir sind - vor allem der „harte Kern" aus gut 35 Teilnehmern, zu einer echten Community zusammengewachsen.

Dies sind die Erkenntnisse aus zehn Wochen Wednesday Web Jam:

Online-Communities brauchen eine klare Ausrichtung und Struktur.
Was soll hier passieren? Was herrscht für ein Ton? Wer wird angesprochen? Was wird von mir erwartet? Das muss ziemlich schnell klar werden, wenn Menschen sich online auf ein soziales Konstrukt einlassen und nicht nur Konsumenten von Inhalten bleiben sollen.
Struktur und Ablauf der Online-Meetings müssen immer kommuniziert werden. Wie lange dauert das? Gibt es einen Fahrplan für den Prozess? Welche Form erfordert welches Verhalten? Was sich sehr bewährt hat, ist die Viertelstunde vor dem offiziellen Beginn zum Ankommen und für Smalltalk sowie der „Backstage"-Bereich nach dem offiziellen Ende, wo die Konversation mit einem Mal lockerer und nochmal deutlich persönlicher wird.

Geschützter Raum ermöglicht Experimente.
Wenn immer nur einige wenige die Experten sind, kommt offener Austausch nicht in Gang und bleiben die Meetings starr. Klare Regeln zur Offenheit und Vertraulichkeit und die explizite Einladung zum Fehler machen können helfen. #FailForward (sinngemäß: sich durch Fehler entwickeln) war das Motto im WWJ. Und damit es auch wirklich funktioniert, waren die Gastgeber das beste Beispiel. Wir sind krachend dabei gescheitert, mit hundert Teilnehmern gleichzeitig Google Docs zu bearbeiten oder uns auf einem Mural Whiteboard zu bewegen. Macht nichts. Das wissen wir jetzt. Aber die Verletzlichkeit unter all den fremden Menschen zeigen zu dürfen, das gibt Kraft.

Austausch in Kleingruppen schweißt Teilnehmer zusammen.
Keiner will über lange Zeit zugetextet werden. Und online ist das nochmal anstrengender. Je eher ich die Teilnehmer zum Arbeiten vernetze, desto lebhafter wird es. Über die wechselnde Zusammensetzung der Gruppen und die Begrenzung auf bis zu höchstens sechs pro Gruppe habe ich in der kurzen Zeit von vielen Menschen sehr viel erfahren: Ideenaustausch, Reflexion, kulturelle Verschiedenheiten, private Nöte. Es ist ein Geben und Nehmen, von dem die Zusammenarbeit unter uns Fremden lebt. Ich darf mich zeigen, und ich profitiere von der Kompetenz der anderen.

Rituale geben Vertrautheit und Sicherheit.
Die so genannte Decompression Zone zum Ankommen hat sich erst nach Wochen entwickelt. Aber sofort war klar, wie groß der Wert für die Community ist. Schließlich hänge ich auch im richtigen Leben erst meine Jacke auf und schaue mich dann mal um, wer so da ist. Wenn ich so orientiert bin, starte ich anschließend stressfrei in die gemeinsame Arbeit.

Spaß haben und gemeinsam wachsen!
Humor hilft dabei, die emotional anstrengenden Erlebnisse zu verdauen - in Gemeinschaft, denn wenn alle sich mal zum Deppen machen, wenn ich das Geschenk der Offenheit erfahre, dann ist das Sprungbrett nicht mehr so hoch,. Das gemeinsame Erleben und Lachen beflügelt ungemein. So wie es eine US-amerikanische Teilnehmerin bei unserer Reflexion formulierte: „Ich bin nur als Gehirn hierhergekommen, um möglichst viel Wissen über Tools und Formate abzugreifen. Und nun bin ich als ganzer Mensch tief berührt. Ich habe Gemeinschaft und Empathie erfahren."

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