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Dienstag, 12. November 2019

Die furchtbarste Erfahrung

Manchmal ist es halt kacke. Und was ich daraus gelernt habe.

Mein unangenehmstes Moderationserlebnis traf mich im Sommer relativ unvorbereitet: Es galt, eine Bürgerversammlung in einem Vorort zu moderieren zu einem schönen Planungs- und Nachhaltigkeitsthema. Der Ort war vorgegeben, die Dramaturgie mit allen Beteiligten sorgfältig geplant, das Format zeitgemäß aufgerüscht, was in diesem Falle hieß: Es gab ausreichend Raum, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Anliegen diskutieren und selbst in den Plänen verankern konnten. Das Resultat: drei Stunden Moderatorenhölle, und zum allerersten Mal in meinem Berufsleben fand ich die Teilnehmer wirklich doof.

Die Auftraggeber waren dagegen sogar zufrieden, denn die Stimmung im Raum war zwischenzeitlich so unfreundlich und explosiv, dass die Veranstaltung komplett aus dem Ruder zu laufen drohte. Das ist mithilfe einer ziemlich straffen Moderation nicht passiert, und zum Ende waren diejenigen, die bis zum Schluss aushielten, sogar ausgesprochen friedlich und konstruktiv.

Trotzdem hat mir die Veranstaltung lange nachgehangen. Und ohne jetzt auf jedes Detail einzugehen, fasse ich mal meine Erkenntnisse zusammen:
1. Wenn meine eigenen Emotionen hochkochen, habe ich meine Rolle verlassen. Das ist menschlich, kann ich mir jetzt zugestehen. Dennoch war meine Moderation harsch, und das will ich nicht.
2. Ich akzeptiere nur selten Hierarchien, und das ist in einem Vorort - gelinde gesagt - nicht kompatibel. Ich wäre gut beraten gewesen, den unausgesprochenen Umgangsregeln des Großteils der Teilnehmer zu folgen, die ihre Bezirksbürgermeisterin gewürdigt wissen wollten - selbst wenn sie sich damit um ihr Rederecht bringen wollten.
3. Ich habe insgesamt nicht viel Kultursensibilität im Umgang mit Vorort bewiesen: war ungeduldig mit NIMBY-Typen und mangelnder Veränderungsbereitschaft. Was mich hätte aufmerken lassen sollen: Das Setting vor Ort. Dazu unten mehr.
4. Ich habe mich auf ein bewährtes Format (Bürgerversammlung) verlassen und die üblichen Rahmenbedingungen akzeptiert, als da wären: Abendveranstaltung, maximal drei Stunden, in einem Saalbetrieb mit Tribunalbestuhlung.

Mit Abstand betrachtet verkörperte dieser Auftrag all das, was ich eigentlich NICHT mehr mache. Das eingeführte Format der Bürgerversammlung, wie sie z.B. das Baugesetzbuch vorsieht, ist eines, wo Bürgerinnen und Bürger aufgeladen hingehen, um Veränderung abzuwehren, und wo Fachleute aus der Verwaltung sich wie Kanonenfutter fühlen, weil sie die Boten dieser Veränderung sind. Die Erfolgsaussichten für Verständigung sind hier generell nicht so gut, Konflikt ist eigentlich vorprogrammiert.

Ich lehne üblicherweise Reihenbestuhlung ab, weil dort die Teilnehmer als Konsumenten sitzen, zurückgelehnt mit verschränkten Armen, ein Abwehrblock, der schwer zu knacken ist. Vorabendveranstaltungen kommen arbeitenden Menschen natürlich entgegen. Aber sie sind eine Aufgabe mehr an einem vielleicht langen Tag. Und erfahrungsgemäß sitzen in Bürgerversammlungen eben nicht die engagierten Gestalter und Aushandler, die interessiert Aufgeschlossenen oder die Jungen. Und das vermutlich Wichtigste: Es geht um Veränderung, die Stadtplanung mit sich bringt. Leute fürchten um den Verlust von Liebgewonnenem. Für Konfliktlösungen braucht es aber Zeit, und es braucht offene, wertschätzende, elastische Formate. Das kann solche eine Bürgerversammlung in der gewohnten Form nicht leisten.
Ich denke, es ist an der Zeit, diese Art von Veranstaltungen sterben zu lassen. Wir sollten uns aufmachen, die Planungskommunikation auf neue Beine zu stellen.

 

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